Schwamendingen
«Der schöne 29. August» - Die Schwamendiger Volksversammlung
Glücklicherweise war das konservative Regiment der «Züriputsch»-Männer nicht von langer Dauer. Auf dem Weg zur endgültigen Liberalisierung unseres Kantons spielte Schwamendingen eine entscheidende Rolle.
Eine gewaltige Volksversammlung aus dem ganzen Kanton trat am 29. August 1841 unterhalb der Ziegelhütte zusammen. Gegenstand der Verhandlungen war die geplante Aufhebung der Klöster im Kanton St. Gallen, welcher sich die konservative Regierung, gestützt auf den Bundesvertrag, widersetzen wollte. Über 20'000 Mann waren nach Schwamendingen gekommen.
Mächtig war die Pressepolemik, die diesem Tag vorausging. In einem «Zuruf an das Volk des Kantons Zürich» schrieb ein Flugblatt, das in der Druckerei des «Landboten» gedruckt worden war: «Es ist Zeit, dass das edler gesinnte Volk einmal erkläre: ‹Bis hieher und nicht weiter› und seinen Feinden beweise, dass ihr Plan, die ganze Schweiz wieder der Zuchtruthe Roms zu unterwerfen, zu Schanden werden soll. – Mitbürger! Die Unterzeichneten, beauftragt von achtbaren Männern fast aller Gemeinden des Kantons, erlassen an Euch den freundlichen Ruf, an der Volksversammlung, welche nächsten Sonntag den 29. August 1841, Mittags um 12 Uhr, in der Nähe von Schwamendingen statt finden wird, recht zahlreich zu erscheinen und dadurch an den Tag zu legen, dass Euch das Wohl des Vaterlandes und das Glück und die Sicherheit im Glauben und in der Liebe zur Freiheit am Herzen liegt.»Unter den 29 Unterzeichneten finden wir zwar keinen Namen aus Schwamendingen. Da die Versammlung aber in unserer Gemeinde stattfand, dürfen wir annehmen, dass sich die Schwamendinger und wohl auch ihr Lehrer Heinrich Bosshard unter den «achtbaren Männern» befanden, die zu dieser Versammlung aufgerufen hatten.
Verschiedene Redner aus dem ganzen Kanton sprachen von einem fahnengeschmückten Podest zum versammelten Volk. Sie betonten die Entscheidungsfreiheit der Aargauer Regierung in ihrer eigenen Klostersache und forderten den Zürcher Grossen Rat auf, sich nicht weiter in die inneren Angelegenheiten der Aargauer zu mischen.
Der «Landbote» berichtete am 2. September 1841 in seinem Leitartikel über den gelungenen Tag: «Der Sonntag brach an, und ein heiterer Himmel begünstigte die gute Sache. Aus allen Gegenden des Kantons strömten zu Fuss, in Equipagen und auf geschmückten Wagen die Schaaren herbei. Als einzelne Beispiele von zahlreicher Theilnahme führen wir an, dass aus der Gemeinde Uster sich über 400, aus der Gemeinde Wetzikon über 300 und von Elgg 180 von 209 stimmfähigen Bürgern eingefunden. Die zahlreichste Theilnahme mögen die Bezirke Winterthur, Andelfingen, Bülach, Regensberg und Zürich beurkundet haben. Noch nie sah der Kanton Zürich eine so grosse Volksversammlung, und wir übertreiben nicht, wenn wir die Zahl derselben mit 25'000 angeben. Die Rednertribüne war mit etwa dreissig Fahnen geschmückt, worunter die Knonauer Amtsfahne, unter welcher Zwingli in der Schlacht bei Kappel gefochten hatte. Die Wehnthaler Fahne trug die bezeichnende Inschrift: ‹Der Freiheit zum Schutz, den Pfaffen zum Trutz!› und die der Weininger: ‹Auf, ihr Zürcher, Zwinglis Geist lebt hoch!›»
In einem bei David Bürkli, einem Wortführer der Konservativen, gedruckten Flugblatt, das der «Bürkli'schen Freitagszeitung» beigelegt war, stand dagegen: «Aus der Stadt Zürich entlud sich alles, was politisch nicht stimmfähig ist, Handwerksgesellen und Lehrbuben ohne alle Ausnahme, Tyroler, Kantons- und Hochschüler.» Dazu wird weiter festgestellt, dass die zum Aargauer Thema gehaltenen Reden nichts anderes als fortgesetzte Seitenhiebe auf die Zustände im Kanton Zürich und auf das Jahr 1839 gewesen seien.
In einem Antwortschreiben des Regierungsrates vom 16. September 1841 an die «Beteiligten von Schwamendingen» wurde der Zweck der Versammlung als «geradezu schädlich und strafwürdig» bezeichnet und behauptet, «die zahlreichen Unwahrheiten und schiefen Urtheile, die verbreitet worden sind, werden vor dem klaren Licht der Wahrheit auf die Dauer nicht bestehen können».
Die Schwamendinger Volksversammlung, von der sich eine sehr seltene Lithographie «Der schöne 29. August in Schwamendingen» im Ortsmuseum befindet, war die grösste Missbilligung, die dem konservativen Regiment zuteil wurde. Die kantonalen Wahlen von 1845 brachten wiederum die Radikalen ans Ruder. Die religiöse Bevormundung der Schule und der Lehrer nahm damit ein Ende. Die letzten Reste einer im Mittelalter verhafteten Gesinnung, die Glauben vor Wissen setzte, war damit in unserem Kanton getilgt. Einer freiheitlichen Entwicklung stand nichts mehr im Wege.