Schwamendingen
Die politisch selbständige Gemeinde Schwamendingen bis zur Eingemeindung in die Stadt Zürich
Die Geschichte der selbständigen, politischen Gemeinde Schwamendingen, die viele noch aus eigener Erinnerung kennen, begann eigentlich erst am Anfang des 19. Jahrhunderts, und zwar in einer Zeit, die von politischen, sozialen und wirtschaftlichen Problemen erfüllt war. Lange dauerte es, bis sich die Doppelgemeinde Schwamendingen-Oerlikon von den Schrecken und Schäden der Franzosenzeit erholt hatte. Die politischen Nachwehen machten sich im Kanton Zürich im Septemberputsch und im Kampf zwischen den Konservativen und Liberalen bemerkbar. Noch hatte sich die Lage nicht endgültig geklärt, als das «Eisenbahnfieber» ausbrach. Auch unsere Gemeinde, die zwar keinen direkten Eisenbahnanschluss erhielt, wurde davon im Innersten betroffen.
Seit Jahrhunderten war Schwamendingen mit dem Nachbardorf in einer Doppelgemeinde verbunden. Gegenüber dem viel mächtigeren Schwamendingen fühlte sich Oerlikon aber schon lange benachteiligt, und es fehlte nicht an Versuchen, sich selbständig zu machen. Das wahrscheinlich erste Gesuch Oerlikons um Lostrennung ist eine Petition an den Regierungsrat vom Jahre 1832. Eine entsprechende Vernehmlassung des Schwamendinger Gemeinderates sprach sich gegen eine Teilung aus; aber schon am 15. März 1835 hatte man auch in Schwamendingen seine Gesinnung geändert. In einer Eingabe an den Regierungsrat wird festgestellt, dass die unfreie Bindung das Leben in beiden Teilen der Gemeinde erschwere. Es sei in Schwamendingen und Oerlikon fast nicht mehr möglich, die nötigen Männer für den Gemeinderat zu fmden. Schon seit dem Spätherbst des vergangenen Jahres besitze man keinen Gemeindepräsidenten mehr, und auch die übrigen Ratsmitglieder seien ihres Amtes überdrüssig. «Nach sorgfaltiger Prüfung» wies der Regierungsrat dieses Gesuch jedoch ab, «da die örtliche Lage keine Trennung notwendig mache».
Weitere ebenfalls vergebliche Gesuche Oerlikons aus den Jahren 1840 und 1841 wiesen darauf hin, dass die Männer von Oerlikon an der in Schwamendingen stattfindenden Gemeindeversammlung schon lange kein Interesse mehr hätten und auch die daraus entstehenden Kosten scheuten. Auf eine Anfrage äusserte sich der Vorsteher von Schwamendingen: Schon vor Jahren habe man beschlossen, jede zweite Gemeindeversammlung in Oerlikon abzuhalten, was sich aber mangels eines geeigneten Lokales nicht durchführen liesse. Da die Gemeindeversammlung immer nach dem Morgengottesdienst angesetzt werde, erwüchsen den Oerlikonern daraus auch keine besonderen Auslagen.
Unzufriedenheit herrschte auf beiden Seiten, und die Sache drängte auf eine Lösung. Diese kam nach dem Bau der Bahnlinie Zürich-Oerlikon-Winterthur (1855) und der Angliederung der Zweiglinien Oerlikon-Uster und Oerlikon-Bülach (beide 1856). Jetzt war das bisher kleinere Oerlikon ein bedeutender Eisenbahnknotenpunkt geworden, während Schwamendingen, das einen grossen Teil seiner Bedeutung und seines Wohlstandes dem regen Postund Güterverkehr zu verdanken hatte, rasch an Bedeutung verlor.
Die alten Verkehrswege von Zürich nach dem Oberland, Winterthur und weiter, führten während Jahrhunderten durch Schwamendingen. Die Darstellung von Murer aus dem Jahre 1566 zeigt schon eine gedeckte Brücke über die Glatt.
Seit dem Mittelalter führte die Verbindungsstrasse zwischen Zürich und Schwamendingen über die Allmende Fluntern und die Ziegelhütte, später über die Bockler- und Frohburgstrasse.
Als letzte Station vor der grossen Steigung auf dem Weg in die Stadt war Schwamendingen für die Fuhrleute von Bedeutung. Hier liess man die Zugtiere noch einmal ruhen, bevor die letzte, steile Strecke in Angriff genommen wurde. Täglich passierten mindestens 20 Postzüge das Dorf. Bei Märkten und Festen in Zürich glich Schwamendingen fast einem Heerlager. Der «Hirschen» war seit altersher ein weitbekanntes Gasthaus. Schon 1750 wurde er als bedeutendes Hotel bezeichnet. Aber nicht nur der «Hirschen» profitierte vom Verkehr, sondern auch noch 12 kleinere Wirtschaften, eine Schmiede, eine Wagnerei, eine Schreinerei, eine Schlosserei und verschiedene andere Handwerker. Die Schmiede hatte sechs bis acht Gesellen, die im Winter und an wichtigen Tagen bis auf fünfzehn und zwanzig ergänzt wurden. Fast alle Landwirte fanden für ihre Zugtiere als Vorspann nach Zürich eine willkommene Nebenbeschäftigung. Die Fuhrhalterei des «Hirschen» mit ihren 20 bis 25 Pferden war durch diesen «Vorspann» oft ganz in Anspruch genommen. Aber auch Ochsen und Kühe wurden an besonders verkehrsreichen Tagen vorgespannt, und man fand kein zugfähiges Vieh mehr in den Ställen.
Die Anlage der heutigen bedeutenden Strassen Schwamendingens reicht in ihren Anfängen ins 19. Jahrhundert zurück. Als erste wurde 1810/12 die Dübendorfstrasse erstellt und 1834 grosszügig ausgebaut.
Einer der ersten von der kantonalen Postverwaltung eingeführten Postwagenkurse führte 1836 von Zürich nach Bäretswil und Bauma und machte in Schwamendingen Halt. Dieser Kurs wurde dreispännig und mit Kondukteurbegleitung geführt. Mit der Fertigstellung der neuen Winterthurerstrasse über Tagelswangen um 1840 nahm der Postreiseverkehr nach der Ostschweiz stark zu. Noch heute zeugen die Gasthöfe in Schwamendingen mit ihren Nebengebäulichkeiten und Stallungen von jener Glanzzeit. Neben den offiziellen Postkursen verkehrte auf der Strecke Zürich-Wetzikon ein privater Omnibus des Lienhard Ritter aus Wetzikon. Die Durchfahrt dieses Fahrzeugs in Schwamendingen war für die Dorfjugend jedesmal ein freudiges Ereignis. Denn der Fuhrmann, im Volksmund «Ritter Lieni» genannt, führte auf seinem Sitz eine lustige Tretorgel mit.
Die Eröffnung der Eisenbahnlinie Zürich-Winterthur und der Bau der Linie Wallisellen- Uster (1856) hatte für Schwamendingen die schwerwiegendsten Folgen. Die bedeutenden Postkurse nach Winterthur fielen bald aus, und auch der Kurs nach Bauma wurde aufgehoben. Oerlikon, das sich dank seiner hervorragenden Verkehrslage zu einem wichtigen Industrieort entwickelte, überflügelte Schwamendingen. Die entscheidende Eingabe an den Regierungsrat um Teilung der Gemeinde wurde im Dezember 1868 von einer hierfür gebildeten Oerlikoner Kommission abgefasst. Sie hielt fest, dass sich die Gemeinde Oerlikon von einem einsamen, abgelegenen Ort zu einer wichtigen Eisenbahnstation entwickelt habe und von Tag zu Tag wachse.
In der Weisung des Regierungsrates zum Entwurf eines «Gesetzes betreffend die Einteilung des Kantons in Bezirke, Wahlkreise und politische Gemeinden» aus dem Jahre 1871 wurde die längst angestrebte Trennung endlich in die entscheidenden Wege geleitet. Diese Weisung, die der Zürcher Staatsschreiber und Dichter Gottfried Keller verfasst hatte, führte unter anderem folgendes aus:
«Nach der Volkszählung (Dezember 1870) hat die Civil-Gemeinde Oerlikon 780 Einwohner, während die mit ihr zur politischen Gemeinde verbundene Civil-Gemeinde Schwamendingen 757 aufweist. Zahlen, welche jedenfalls im Verhältnis zu den übrigen politischen Gemeinden die Berechtigung beider, eigene politische Gemeinden zu bilden, schon hinlänglich dartun. Hinzu kommt die geographische Lage derselben. Schwamendingen liegt an der Strasse nach Winterthur, Oerlikon grösstenteils an derjenigen nach Eglisau; die Entfernung zwischen beiden beträgt nahezu eine halbe Stunde, welcher Umstand die gemeinsame Verwaltung, insbesondere aber die Handhabung der Polizei erschwert. Der Gemeindebann bei der Gemeinden ist schon längst ausgeschieden, die Grundprotokolle sind getrennt; Oerlikon hat selbständig die Bereinigung derselben und die Vermessung des Grundbesitzes durchgeführt; ebenso hat es von sich aus ein eigenes Schulhaus mit Lehrerwohnung gebaut, die Gemeindestrassen erstellt und die Löschgerätschaften angeschafft. Endlich haben beide Zivilgemeinden schon längere Zeit besondere Postabgaben gehabt, von denen diejenige von Oerlikon in direkter Verbindung mit der dortigen Eisenbahnstation, diejenige von Schwamendingen mit Wallisellen in Verbindung steht. Sowohl der Gemeinderat Schwamendingen als der Bezirksrat Zürich haben sich dafür ausgesprochen, dass dem Gesuche von Oerlikon entsprochen werde.»
Am 14. April 1872 wurde das Gesetz über die Neueinteilung des Kantons vom Volke gutgeheissen. In der damit aufgelösten Doppelgemeinde Schwamendingen-Oerlikon sprachen sich 198 Stimmende für, 37 gegen diese Neuordnung aus. Nun war Schwamendingen für die folgenden Jahrzehnte gänzlich selbständig und auf sich selber angewiesen.
Wenn es die Schwamendinger im Laufe der Zeit zu einem ansehnlichen Wohlstand gebracht haben, so ist dies weder der besonderen Fruchtbarkeit ihres Gebietes noch anderen äusseren Umständen zuzuschreiben. In der Regel erzielte Acker-, Wies- oder Rebland, das in Schwamendingen zum Verkauf kam, die niedrigsten Preise im Bezirk. Vor allem waren es Fleiss und Ausdauer, denen die Schwamendinger ein gutes Auskommen zu verdanken hatten.
Wenig bekannt ist, dass sich einige Schwamendinger vorwiegend dem Fischfang widmeten. Die Glatt war früher der fischreichste Fluss in der Schweiz und enthielt viele Aale von ausserordentlicher Grösse und vortrefflichem Geschmack.
Die Überlieferung erzählt, dass solche sogar an den Kaiserhof von Wien geliefert worden waren. Die Sumpfgebiete nördlich und östlich des Dorfes galten bis zur Glattkorrektion im Jahre 1885 als gute Jagdreviere. Die Glatt war übrigens keineswegs ein harmloses Flüsschen. Sehr oft trat das Wasser über die Ufer und überschwemmte grosse Gebiete der Gemeinde. Noch in den letzten grossen Ueberschwemm ungsjahren von 1860, 1868, 1870, 1878 und 1881 konnte man mit Ruderbooten bis an den Dorfkern heranfahren.
Die Glattkorrektion machte diesem Zustand ein Ende und bereitete zugleich die beiden grossen Meliorationen in den Jahren 1909/13 und 1922/25 vor.