Mittelalterliche Verhältnisse

Mit der Schenkung Schwamendingens an das Grossmünster war dieses Grundherr geworden. Zu den verschiedenen Abgaben, Zinsen und Zehnten, welche die Dorfbewohner an das Grossmünster zu entrichten hatten, kamen auch Abgaben an den Probst selbst. So erhielt dieser zum Beispiel (für das Jahr 1230 notiert) von Schwamendingen einen Sechsteil Wein, ein halbes Schaf, einen Wagen Heu und zwei Wagen Holz.

Als Teil der Reichsvogtei Zürich unterstand Schwamendingen bis 1218 den Zähringern, dann den Kyburgern. 1264 ging die Vogtei an die Habsburger über. Die damaligen Rechtsverhältnisse unterschieden eine hohe und eine niedere Gerichtsbarkeit. Das Hochgericht das insbesondere über Leben und Tod urteilte, wurde von den Kyburgern und nach ihrem Aussterben von den Habsburgern ausgeübt. Die niedere Gerichtsbarkeit, Twing und Bann geheissen, kam dem Grundherrn zu und wurde erst in der Reformation von den Grossmünster-Chorherren der Stadt übergeben.

Amtsstelle des Grossmünsters war in Schwamendingen der Kehlhof, wo unter dem Vorsitz des Propstes oder dessen Stellvertreter zweimal im Jahr Gericht gehalten wurde. Der Kehlhof stammt in seiner heutigen Form aus dem frühen 16. Jahrhundert. Er steht gegenüber der alten Kirche und ist einer der letzten Bauernbetriebe von Schwamendingen. Zur niederen Gerichtsbarkeit kam 1404 noch das Blutgericht, das König Rupprecht im genannten Jahre der Propstei verlieh. So befand sich diese im Besitze aller grundherrlichen Rechte über Schwamendingen.

Trotz Grundherrschaft und Vogtei standen den Bauern im Mittelalter namhafte Rechte zu. Grosse Gebiete (andernorts Allmend genannt) waren der gemeinsamen Nutzung vorbehalten, und aus dem Wald bekam der einzelne sein Brenn- und Bauholz. Recht und Pflicht mancher Dorfgemeinschaft war in einer sogenannten «Offnung» niedergelegt. An den Gerichtstagen wurden jeweils die bestehenden Rechte von alten, angesehenen Dorfgenossen eröffnet, das heisst zu Beginn der Sitzung auswendig aufgesagt. Damit diese Satzungen nicht dem Gedächtnis entschwanden, fing man im 13. Jahrhundert an, sie aufzuschreiben.

Der Kehlhofer (auch Kellner oder Keller genannt) hatte ein Aufsichtsrecht über die Bauern des Dorfes und über den Weibel. Dieser war ein Dorfbeamter und wurde von der Dorfgemeinde gewählt. Jeweils am Neujahrstag besammelten sich die Bauern im Kehlhof «und sol der Keller fragen sie alle sament uff ir eid, ob sie wellen werben umb einen weibel, und wer denn gern weibel woeltin sind, von dien sol man ein userwellen, der inen und der kilchen Zürich nutz sig».

Als Zeichen seiner Würde trug der Weibel den Stiftsmantel, welchen das Stiftskreuz – heute Bestandteil des Schwamendinger Wappens – schmückte. Der Weibel hatte über Holz und Feldfrüchte zu wachen. Für seine Mühe und Arbeit erhielt er von jeder Hube und von je vier Schuppissen eine Garbe Hafer und dazu auch noch eine Garbe Dinkel. Von jeder Hube stand ihm noch eine «Burdi» des besten Heus zu. Diese «Burdi» sollte so gross sein, «dass zween mit ihr gnuog zu heben hand». Konnte der Weibel das Heu drei Schritt aus der Wiese hinaustragen, so durfte er es behalten. Im anderen Falle musste er für dieses Jahr darauf verzichten.

Der Kehlhofer schuldete dem Weibel ein Fuder Heu. Dieser durfte den Wagen selber laden und mit acht Rindern wegführen. Stürzte der Heuwagen aber um oder versank er so tief, dass die vorgeschriebene Zahl Rinder ihn nicht mehr ziehen konnten, so verblieb er dem Kehlhofer. Bei der Ernte des Kehlhofers hatte der Weibel mitzuwirken. Er musste die Garben binden und ein achtsames Auge auf die Ährenleser halten. Dafür erhielt er auf je hundert Garben Hafer oder Dinkel eine Garbe.

Er begleitete zudem den Erntewagen, um ihn vor Fall zu bewahren. Dafür durfte er jeweils die hinterste Garbe wegtragen. Fiel der Wagen um, so musste der Weibel den Schaden vergüten. Ferner erhielt er pro Feuerstatt ein Brot auf den Heiligen Abend und für das abgehauene Holz eine kleine Geldentschädigung.

Bedeutend für Schwamendingen war der Waldbesitz am Zürichberg. Jeder Huber sollte aus dem Stiftswald beziehen dürfen, was er «mit gebührender Bescheidenheit» an Bau- und Brennholz bedurfte. Das Holzrecht wurde zu einem ständigen Streitobjekt zwischen dem Stift und den Schwamendingern, denn «die hueber begertend iemer me holtz und bruchind grosse unmass». In der späteren Offnung von 1533 ist die Aufsicht über den Wald dem Weibel besonders anempfohlen worden. Er musste schwören, die Angelegenheiten des Grundherrn wohl zu vertreten, Treue und Wahrheit zu halten, «und die höltzer und was dem stift zugehörig ist, wol zu vergaumen»

Die Stiftswaldungen wurden im 19. Jahrhundert übrigens Anlass zu einem langen Rechtsstreit zwischen dem Staat Zürich als Rechtsnachfolger des 1832 aufgehobenen Chorherrenstifts und der Gemeinde Schwamendingen bzw. den Hubenbauern. Der Prozess dauerte von 1835 bis 1870. Durch obergerichtliches Urteil vom 11. Juli 1850 wurde der Standpunkt der Hubgenossenschaft Schwarnendingen, die den Wald als ihr Eigentum bezeichnete, geschützt. Aufgrund neuer Akten verlangte hierauf die Finanzdirektion am 1. Dezember 1866 die Revision des Prozesses. Die Frage wurde schliesslich durch einen Vergleich erledigt.

Die Offnung von Schwamendingen ist in zwei Fassungen von 1400 und 1533 niedergelegt. In der ältesten Niederschrift sind zuerst die Rechte des Grundbesitzers, also des Grossmünsters, festgehalten. Dem Propst des Stiftes stand das Maien- und Herbstgericht zu, wobei er vom Vogt auf der Kyburg in der Ausübung seines Amtes geschützt wurde. Eines der wichtigsten Traktanden war jeweils die Verleihung des Kehlhofes. Die Bauern wurden gefragt, «ob der Keller nütze sig dem hoff». War dies der Fall, so wurde ihm der Kehlhof von neuem verliehen.