Das Ende der alten Ordnung - Kriegstage in Schwamendingen

Unter dem Druck der anruckenden Franzosen verzichtete am 5. Februar 1798 die Stadt Zürich auf ihre Vorrechte gegenüber der Landschaft. Die bisherige Ordnung war zwar nicht als diktatorisch zu bezeichnen, die Gemeinden der Landschaft besassen eine weitgehende Selbstverwaltung. Aber das «väterliche Regime» der Stadt Zürich war auf seine Autorität doch sehr bedacht und behandelte die Landgemeinden in vielen Fällen wie unmündige Kinder. Deshalb wurde die Geburtsstunde der Freiheit überall jubelnd begrüsst. Am 21. Februar tagte erstmals die neugeschaffene, 176 Mitglieder starke «Landeskommission» der zürcherischen Lokalstände. Schwamendingen war durch Dorfmeyer Joh. Vollenweider vertreten.

Unter dem Vorwand der Befreiung ruckte Ende April 1798 ein starkes französisches Heer in Zürich ein und wurde in der Stadt und den umliegenden Gemeinden einquartiert.  Schwamendingen blieb nicht verschont. Am 16. August 1798 mussten die Schwamendinger den Eid auf die von den Franzosen ausgearbeitete Einheitsverfassung leisten und den «Freyheitstrunk» aus der Gemeindelade bezahlen. 1799 beklagten sich die Gemeindevorsteher von Schwarnendingen und Oerlikon beim Regierungsrat, dass die beiden Dörfer nun schon bald 1 1/2 Jahre lang durch die härteste Einquartierung bedruckt seien, in dem oft jeder Bauer 10 bis 14 Mann und jeder Nichtbauer 6 bis 8 Mann in seinem Hause habe und ihnen seinen geringen Vorrat ganz hergeben und, wenn er keinen eigenen habe, solchen, insbesondere den Wein, kaufen müsse, um die harten Forderungen der räuberischen Franken zu befriedigen.

Am 4. Juni 1799 meldete der Ziegler Büeler von der Ziegelhütte, dass ihm in Aekkern, Feldern und im Garten Frucht im Werte von 472 Gulden verheert und für 780 Gulden Werkzeug, Holz, Vieh, Wein, Brot und Geschirr entwendet worden war. Eine weitere Raubliste des Zieglers vom 26. Herbstmonat 1799 zählt Heu, Holz, Geschirr, Kleider, Weinund Bargeld im Wert von 2293 Gulden auf.

Ein undatiertes Schadenverzeichnis des Kehlhofers, das wohl die Belastung seines Hofes während der ganzen Franzosenzeit umfasst, nennt: «Einkwarthierung 2546 man und 1214 pfärt». (Noch heute findet sich übrigens im Kehlhof eine Windentür, auf der eine französische Einheit ihren Mannschaftsbestand samt einem Tambouren eingekritzt hatte.)

Aber die französische Besatzung gab sich mit der Beherbergung und Verköstigung ihrer Leute nicht zufrieden. Militärfuhren und Schanzarbeiten belasteten oft das ganze Dorf. Zum Schutz gegen den von Süddeutschland anruckenden österreichischen Erzherzog Karl waren gestaffelte Befestigungsanlagen vom Käferberg bis nach Schwarnendingen hinunter geplant. Unter dem französischen Geniechef General Andreossi wurde am 3. April 1799 auf dem Milchbuck mit den Arbeiten begonnen. Dazu hatten Schwamendingen und Oerlikon 25 Mann zu stellen. Am 7. April waren es 30, und am 14., 25. und 26. April je 20 Mann. Am 20. Mai hatten die französischen Sappeure mit 3000 Männern der Landschaft den Wald «bei Schwamendingen und gegen Oerlikon» umzuhauen, wobei 4000 Klafter Holz der Axt zum Opfer fielen.

Am Morgen des 3. Juni rückten die Österreicher unter General Hotze von Wallisellen über die Aubrücke gegen Oerlikon vor. Die Franzosen zogen sich hinter die Befestigung am Milchbuck zurück, aber eine Abteilung verteidigte den Waldgarten und das Gebiet der heutigen Schwamendingerstrasse noch bis 2 Uhr nachmittags. Während der heftigen und anhaltenden Kanonade war Hotze mit seinem Heer nach Dübendorf marschiert und hatte Stettbach erobert. Zwischen Schwamendingen und der Ziegelhütte fasste er die französischen Stellungen in die Flanke, wobei er durch eine Gewehrkugel am Arm verletzt wurde.

Ein anonymer Chronist meldete dazu folgende, beinahe idyllisch klingende Begebenheit: «In Schwamendingen, so erzählte es mir jemand Glaubwürdiger, war ein Vater vieler Kinder, ein sonst wakrer Mann; in seiner Stube lag vorher fränkisches Militär auf dem Stroh. In der Nähe des Hauses fielen Gefechte vor; während dem flogen Kugeln und Haubiz-Granaten in das Haus; in der Stube ward der Ofen zerschlagen, eine Granate entzündete; allein die Wachtbarkeit des Mannes, und seine Entschlossenheit, vermochten, dass sein Haus, und vielleicht andere mehr, gerettet worden. In der Stube hieng, was sonderbar, ein Vogelkefich, worinn sich ein Distelfink befand; eine Kugel schmetterte solches hinunter, und der Vogel entwischte.»

In dieser ersten Schlacht bei Zürich am 3. und 4. Juni 1799 konnten die Franzosen ihre Stellungen halten, aber General Massena zog sich am 6. Juni aus der Stadt Zürich zurück, um hinter der Sihl am Uetliberg und Albis gegen eine feindliche Einkreisung bessere Rückendeckung zu haben. Dadurch fiel die Stadt und ihre nördlich gelegene Nachbarschaft wieder in die Hände der Oesterreicher und ihrer russischen Verbündeten.

Am 25. und 26. September 1799 entbrannte die eigentliche, die zweite Schlacht bei Zürich. Erzherzog Karl war mit seinen Truppen nach dem Schwarzwalde abgezogen und hatte seine Stellungen dem russischen General Korsakow überlassen. Hotze stand bei Schänis, und ein weiteres Heer unter Suwarow wurde von Süden erwartet.

In der Morgenfrühe des 25. September schlug Massena überraschend zu. Korsakow fürchtete, in der Stadt eingekreist zu werden, und beschloss den Rückzug gegen den Rhein. Aber ein französischer Flankenangriff über Dietikon, Affoltern und Oerlikon nahm die Russen bei Schwamendingen in die Zange. Vom Käferberg her mit Artilleriefeuer verfolgt, gerieten die russischen Kolonnen in grösste Unordnung. Viele entkamen über die Glatt, bevor sie die Aubrücke hinter sich anzündeten. Der Widerstand der Zurückbleibenden wurde in Schwamendingen gebrochen. Hier erbeuteten helvetische Hilfstruppen in französischen Diensten die russische Kriegskasse, «und zwar auf der Anhöhe, welche das Dorf Schwamendingen beherrscht».

Über die Schäden, welche die beiden Schlachten durch Raub und Verheerung verursachten, wurde am Beispiel der Ziegelhütte schon berichtet. Über weitere Verluste meldete der «Kirchgemeinde-Agent» von Schwamendingen-Oerlikon Ende August 1800 dem Statthalter folgendes:

«An Einquartierung (seit Ende April 1798 bis heute in beiden Dörfern) 45'290 Mann, Kosten 40'000 Fr. und 20'060 Pferde, Kosten 20'060 Fr. Oerlikon beherbergte allein mehr als 12'000 Mann und 4000 Pferde. Die Kosten beliefen sich auf mindestens 18'400 Fr.

Lebensmittel für 4920 Übernächtler: 4920 Fr., für den General 8 Tage: 480 Fr., Lieferungen an Wein in zwei Malen 80 Saum (130 hl): 1920 Fr., an Heu 8259 Zentner: 24'777 Fr., an Stroh 3642 Zentner: 7294 Fr., an Haber 302 Viertel (61 hl): 604 Fr., an Korn 132 Viertel (26 1/2 hl): 264 Fr.

Schaden durch Brand, Plünderung und Verheerung 83'200 Fr., Schaden an Holz mit Inbegriff des Stiftsholzes 150'000 Fr. – Gesamter Schaden beider Gemeinden: 293'509 Fr.»